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17 January 2024

Inanspruchnahme zahnmedizinischer Leistungen bei geflüchteten Menschen in Deutschland

RKI

 

Gesundheitswissenschaftler*innen der Universität Bielefeld habe sich mit der zahnmedizinischen Versorgung von Geflüchteten befasst, um Vorurteilen entgegenzuwirken. Im vergangenen Herbst wurde öffentlich über die zahnmedizinische Versorgung abgelehnter Asylbewerber*innen diskutiert und darüber, wie häufig sie eine solche Versorgung in Anspruch nehmen. Anstoß für die Diskussion war eine Äußerung des CDU-Chefs Friedrich Merz, der behauptete, dass deutsche Patienten keinen Arzttermin bekommen würden, weil sich abgelehnte Asylbewerber die Zähne erneuern lassen würden.

Die vorliegende Studie zeigt, dass Geflüchtete im Vergleich zur Gesamtbevölkerung deutlich seltener zahnärztlich behandelt werden und ihre zahnmedizinische Versorgung insgesamt sehr lückenhaft ist.

„In unserer Studie haben wir untersucht, wie häufig Asylbewerber*innen in Deutschland innerhalb eines Jahres zum Zahnarzt gehen“, erläutert Professor Dr. med. Kayvan Bozorgmehr. Er leitet die Arbeitsgruppe Bevölkerungsmedizin und Versorgungsforschung an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld. Bozorgmehr ist Erstautor des am 17.01.2023 erschienenen Forschungsartikels. Veröffentlicht wird der Beitrag mit Ko-Autorinnen des Universitätsklinikums Heidelberg, des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und des Robert Koch-Instituts (RKI) im Journal of Health Monitoring des RKI.

Die Daten zeigen, dass nur 38,2% der befragten Geflüchteten in den vergangenen zwölf Monaten zahnmedizinisch behandelt wurden, im Gegensatz zu 82,2% der Gesamtbevölkerung. 41,4 Prozent gaben an, noch nie in Deutschland beim Zahnarzt gewesen zu sein.

Die analysierten Daten stammen aus der Querschnittstudie RESPOND aus dem Jahr 2018. Dafür wurden per Zufallsstichprobe 863 geflüchtete Menschen in Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften in Baden-Württemberg und Berlin unter anderem gefragt, inwiefern sie eine zahnmedizinische Versorgung in Anspruch nahmen.

Professor Bozorgmehr betont, dass auch internationale Studien auf einen erschwerten Zugang zu zahnmedizinischer Versorgung für Geflüchtete hinweisen. Das Asylbewerberleistungsgesetz in Deutschland schränke zahnmedizinische Behandlungen auf unaufschiebbare medizinische Gründe ein, was eine Ungleichbehandlung darstellen könnte, unterstreicht Ko-Autorin Dr. Nora Gottlieb. Weitere Leistungen dürfen im laufenden Asylverfahren, bei einem abgelehnten Verfahren oder einer Duldung in den ersten 18 Monaten des Aufenthalts in Deutschland nur auf Antrag bei der zuständigen Behörde und nach deren Ermessen gewährt werden.

„Es gibt Hinweise darauf, dass hier eine strukturelle Ungleichbehandlung infolge des Asylbewerberleistungsgesetzes vorliegt“, so Gottlieb. „Das steht im Widerspruch zu den Grundsätzen der Nicht-Diskriminierung, Gleichstellung und Menschenwürde.“ Für erwachsene Menschen in Deutschland gibt es die Empfehlung, halbjährlich zum Zahnarzt oder zu einer Zahnärztin zu gehen. „Im Hinblick darauf, dass die verfügbaren Studien bei Geflüchteten auf einen hohen oder höheren Versorgungsbedarf im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung hinweisen, scheint die Versorgung nicht bedarfsgerecht zu sein.“

Die Untersuchung zeigt, dass nicht behandelte Probleme in der Zahnmedizin nicht nur die Lebensqualität beeinflussen, sondern auch zu weiteren Erkrankungen führen können. Dies resultiert zudem in einer finanziellen Mehrbelastung für das Gesundheitssystem. Die Wissenschaftler betonen die Notwendigkeit besserer Daten, um die Bedürfnisse und die Versorgung von Geflüchteten adäquat zu erfassen. Dies soll dazu beitragen, die Diskussionen über Migration und Gesundheit auf eine objektive, datenbasierte Ebene zu bringen.

Die Studie reiht sich ein in weitere Untersuchungen auf dem neuen Gebiet der Unsicherheitsforschung, dem sich das neue Center for Uncertainty Studies (CeUS) der Universität Bielefeld widmet. Der Konfliktforscher Professor Dr. Andreas Zick, einer der Direktor*innen des CeUS, sagt: „Wenn Politiker*innen Geflüchteten ohne Sachgrundlage unterstellen, Sozialleistungen zu missbrauchen, wird ein tatsächliches oder subjektiv empfundenes Wissensdefizit von Bürger*innen ausgenutzt. Das verstärkt Unsicherheiten durch Scheinsicherheiten und dient vielleicht nur dazu, Wahlstimmen zu erreichen. Am Zentrum für Ungewissheitsforschung gehen wir solchen Narrativen der Unsicherheit nach und erforschen ihre gesellschaftlichen Effekte. Die können auch darin bestehen, neue Unsicherheiten zu produzieren.“

Inanspruchnahme zahnmedizinischer Leistungen bei geflüchteten Menschen in Deutschland: Ergebnisse des bevölkerungsbezogenen Surveys RESPOND. Journal of Health Monitoring.
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(2.33 MB - PDF)
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Details

Authors
Kayvan Bozorgmehr, Maren Hintermeier, Louise Biddle, Claudia Hövener, Nora Gottlieb
Geographic area
Germany
Contributor type
Academics and experts
Original source
Posted by
Marie Bayat
Country Coordinator

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