Einen Monat nach dem tödlichen Messeranschlag in Solingen, bei dem drei Menschen starben und acht verletzt wurden, kämpft die Stadt weiterhin mit den Folgen der Tat. Der Täter, ein 26-jähriger geflüchteter Syrer, befindet sich derzeit in Untersuchungshaft. Das Motiv für die Tat bleibt unklar. Die laufenden Ermittlungen konzentrieren sich unter anderem auf mögliche Verbindungen zum IS.
Laut Dublin-Verordnung hätte der Täter für die Durchführung eines Asylverfahrens nach Rumänien abgeschoben werden müssen, was jedoch nicht erfolgt ist.
Die Tat eine bundesweite politische Debatte über Migration und Sicherheit ausgelöst, die Auswirkungen auf das gesamtgesellschaftliche Klima in Deutschland hat. Unmittelbar nach dem Verbrechen wurden weitreichende politische Maßnahmen umgesetzt, so insbesondere:
- Verschärfte Grenzkontrollen: Die Einführung verstärkter Grenzkontrollen war eine der ersten politischen Maßnahmen, die nach der Tat umgesetzt wurden. Ziel dieser Kontrollen soll es sein, den Zugang von Geflüchteten und Migrant:innen nach Deutschland strenger zu regeln.
- Sicherheitspakete: Zudem hat die Bundesregierung ein umfassendes Sicherheitspaket als Reaktion auf den Anschlag geschnürt. Diese beinhalten unter anderem Maßnahmen zur Bekämpfung irregulärer Migration, des Islamismus sowie Regelungen zum Waffenrecht.
- Abschiebungen: Eine weitere Reaktion war die Entscheidung, Abschiebungen nach Afghanistan wieder aufzunehmen, nachdem diese seit Jahren ausgesetzt worden waren. Auch in manche Regionen Syriens soll nun abgeschoben werden können.
Viele Expert*innen sehen die aktuellen politischen Maßnahmen in Reaktion auf die Gewalttat in Solingen kritisch. Herbert Brücker, Migrationsforscher und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Humboldt-Universität zu Berlin, warnt vor den langfristigen Gefahren der politischen Strategie. Brücker, der auch Direktor des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung ist, erklärt, dass das Dublin-System zur Rückführung von Geflüchteten weitgehend gescheitert sei. Mit dem Versuch, Migration durch Grenzschließungen zu regulieren, gefährde Deutschland jedoch seine Attraktivität und Fähigkeit, qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland anzuziehen: „Mit der aktuellen Debatte verspielen wir aber diesen guten Ruf“, mahnt Brücker.
Brücker weist in dem Zusammenhang darauf hin, dass das Asylsystem in Deutschland im Wesentlichen funktioniere: 88 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen aus Syrien und 78 Prozent aus Afghanistan haben einen anerkannten Schutzstatus. Nur ein kleiner Teil, etwa acht Prozent, ist demnach tatsächlich ausreisepflichtig. Von 2015 bis 2023 wurden nach Brücker insgesamt 836.000 Asylanträge abgelehnt, aber der Bestand an ausreisepflichtigen Personen ist nur um 81.000 gestiegen, da die meisten Menschen freiwillig wieder ausreisen.
Im Bereich der Integration gibt es dem Experten zufolge ebenfalls positive Entwicklungen: Acht Jahre nach ihrer Ankunft in Deutschland sind 68 Prozent der Geflüchteten erwerbstätig. „Integration braucht Zeit. Aber die Entwicklung ist viel günstiger, als wir 2015 erwartet haben“, erklärt Brücker.
Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte, warnt vor den Gefahren, die von einer aufgeladenen Migrationsdebatte ausgehen. Sie kritisiert, dass Forderungen nach Abschottung und Zurückweisungen schutzsuchender Menschen die rechtsstaatlichen Prinzipien untergraben. „Die hitzige Debatte der letzten Wochen gleicht einem Wettbewerb um immer drastischere Vorschläge zur Verschärfung des Asylrechts“, erklärt Rudolf. „Die derzeit diskutierten Verschärfungen im Migrations- und Sicherheitsrecht werden Radikalisierungen und Terroranschläge nicht verhindern können“, so Rudolf weiter. Stattdessen seien präventive Maßnahmen notwendig. Rudolf weiter: „Wie wir als Gesellschaft mit Schutzsuchenden umgehen, prägt das Zusammenleben aller Menschen in Deutschland. Menschenrechte und rechtsstaatliche Verfahren sind zivilisatorische Errungenschaften. Sie dürfen nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden.“
Die oben genannten politischen Maßnahmen wurden im Vorfeld der kürzlich erfolgten Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern Thüringen, Sachsen und Brandenburg eingeführt, wo Migration und Sicherheit die dominanten Themen waren. Die rechtspopulistische Partei Alternative für Deutschland (AfD) hat in allen drei Wahlen sehr hohe Stimmenzuwächse erzielt. Sie gewann jeweils rund ein Drittel der Stimmen, was in Deutschland derzeit große Sorgen auslöst über das Erstarken demokratie- und menschenfeindlicher Tendenzen.
Auch mit Blick auf die Landtagswahlergebnisse in Ostdeutschland dauern die kontroversen Diskussionen rund um adäquate Migrationspolitik und gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland an.
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